Sterbefasten- Informationen zu FVNF 
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Sterbefasten bei Demenz?

Können von Demenz Betroffene durch Sterbefasten vorzeitig aus dem Leben scheiden? Ist ein vorzeitiges Sterben durch den Verzicht auf Essen und Trinken auch in einem späteren Stadium der Demenz-Erkrankung noch möglich, wenn dies in einer Patientenverfügung so bestimmt ist? In den USA wird dies seit ein paar Jahren diskutiert. Einige Überlegungen zu einem ethisch und rechtlich heiklen Thema.

Dementielle Erkrankungen verschiedener Art, hier zusammenfassend als «Demenz» bezeichnet, betreffen in Zukunft immer mehr Menschen in unserer Gesellschaft, die nicht zuletzt dank des medizinischen Fortschritts immer älter wird. Es gibt gute Konzepte zum Umgang mit Demenzkranken, und vielfach setzen sich Pflegekräfte kompetent und sehr engagiert für deren Betreuung ein. Andererseits steht unsere in Europa stetig alternde Gesellschaft vor dem ungelösten Problem, in Zukunft eine breitere Versorgung mit qualifizierter Pflege bei angemessener Entlöhnung zu erreichen.

Ist assistierter Suizid bei Erkrankung an Demenz möglich?

Für die von Demenz Betroffenen stellt sich die Frage, ob sie einen sich oft über längere Zeit hinziehenden Abbau ihrer kognitiven Fähigkeiten sich selbst und den Angehörigen zumuten möchten. Falls nicht, stellt sich eine Anschlussfrage: Kann jemand, bei dem eine Demenzerkrankung diagnostiziert worden ist, nun seine Verhältnisse ordnen und das Leben vorzeitig durch Sterbefasten oder einen assistierten Suizid beenden? Zu letzterem ist alles Wichtige zum Beispiel bei der Schweizer Sterbehilfeorganisation EXIT zu finden:

Sonderfall: Demenz und Freitodbegleitung
Mehr dazu hier

In Deutschland werden bei den durch die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben DGHS vermittelten Suizidangeboten ebenfalls Demenzerkrankungen als Grund für einen Suizidwunsch akzeptiert. In Österreich besteht wegen der Wartezeiten, die seit Anfang 2022 im Suizidhilfegesetz vorgeschrieben sind, das Risiko, dass jemand durch das Fortschreiten seiner Demenzerkrankung in einen Zustand gerät, in dem sie / er nicht mehr freiverantwortlich entscheiden kann. Wendet sich jemand mit der Diagnose Demenz an seine Hausärztin / seinen Hausarzt mit der Bitte um Freitodbegleitung, so ist zudem dieser Fachperson zuzugestehen, dass sie die Hilfe aufgrund ihrer Wertvorstellungen verweigert. Immerhin sollte sie dann aber einen Hinweis geben, an wen sich die / der Sterbewillige stattdessen wenden kann.

Sterbefasten im Frühstadium einer Demenz

Es könnte indessen sein, dass in diesem Zusammenhang auf die Möglichkeit des Sterbefastens hingewiesen wird. Es gibt durchaus Beispiele (siehe Fall Nr. 21 auf dieser Website: hier) dafür, dass diese Form des vorzeitigen Sterbens in einem sehr frühen Stadium der Demenz noch möglich ist, aber das ist keinesfalls sicher. Gegebenenfalls muss der Versuch abgebrochen werden, vor allem dann, wenn die sterbewillige Person nach einigen Tagen nicht mehr versteht, warum sie auf Nahrung und Flüssigkeit verzichten soll.

Welche Bedeutung hat eine Patientenverfügung bei fortgeschrittener Demenz?

Auf die rechtlich unbestrittene Möglichkeit, in einer Patientenverfügung (PV) für den Fall der Demenz medizinische, lebensrettende Massnahmen zu verbieten, wird weiter unten kurz eingegangen. Aus den USA kamen in den letzten Jahren Vorschläge, Demenz nicht als Anlass für einen präventiven Suizid zu werten, sondern in einer ersten Phase noch als lebenswertes Leben zu sehen, das niemand verschenken sollte. Vielmehr empfehle es sich, als noch urteilsfähige Person in einer Patientenverfügung (PV) festzuhalten, beim Fortschreiten der Demenz wolle man später vorzeitig aus dem Leben scheiden, und zwar dadurch, dass andere einem nichts mehr zu essen und zu trinken geben (siehe das Buch von Quill et al (2021); dazu Hinweis unten).

Dies wird als Analogie zum Sterbefasten (Voluntarily Stopping Eating and Drinking, VSED) gesehen. Die beim Sterbefasten gewonnenen Erfahrungen ermutigen zu dieser Sicht insofern, als die Patienten bei kompetenter Pflege mit keinem oder nur geringem Leiden zu rechnen haben, falls sie später nichts mehr zu essen und fast nichts mehr zu trinken erhalten. Quill und andere sprechen bei diesem - von ihnen seit Jahren propagierten - Vorgehen von «Stopping Eating and Drinking by Advance Directive», abgekürzt SED by AD; auf deutsch: Beenden des Essens und Trinkens auf Grundlage einer PV. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass in den deutschsprachigen Ländern bislang zur Versorgung mit Nahrung und Flüssigkeit in einer PV keine rechtsverbindlichen Forderungen gestellt werden können, weil PVs nur medizinische, aber keine pflegerischen Massnahmen betreffen. Dennoch ist es durchaus sinnvoll, Wünsche zur Pflege in einer PV zu äussern: Obwohl sie rechtlich nicht durchsetzbar wären, könnten sie die Verantwortlichen später dennoch erfüllen.

Theoretisch lassen sich drei Konzeptionen solcher Patientenverfügungen unterscheiden:

a) Ein urteilsfähiger Mensch bestimmt, dass er / sie bei Erreichen eines bestimmten Stadiums einer Demenzerkrankung sterben will: Beispielsweise im Stadium 5 der «Global Deterioration Scale (GDS)», in dem Demenzkranke bei den «Aktivitäten des täglichen Lebens» (ATL) schon weitgehend auf Hilfe angewiesen sind. Ob jemand dann noch gerne isst und trinkt, wird als nebensächlich angesehen.

b) Ein urteilsfähiger Mensch bestimmt, dass zu jenem Zeitpunkt, an dem er / sie nur noch durch manuelles Anreichen von Nahrung und Flüssigkeit am Leben erhalten werden kann, diese Unterstützung beendet wird, damit er / sie vorzeitig sterben kann. Auch hier wird als nebensächlich angesehen, ob jemand (dann) noch gerne isst und trinkt.

c) Ein urteilsfähiger Mensch bestimmt, dass das Anreichen von Nahrung und Flüssigkeit zu beenden ist, sobald er / sie das Interesse an Essen und Trinken weitgehend oder gänzlich verloren hat - unabhängig vom Erreichen eines bestimmten Stadiums gemäss GDS.

Die rechtlichen und moralischen Fragen, die sich nun ergeben, können hier nicht erschöpfend abgehandelt werden. Wie auch von EXIT betont wird (siehe hier) gilt zunächst, dass jemand keine Freitodbegleitung mehr erhalten kann, wenn er / sie durch das Fortschreiten der Demenz die Urteilsfähigkeit (Einsichtsfähigkeit) verloren hat. Das Umsetzen einer entsprechenden PV würde andernfalls auf eine Tötung auf Verlangen hinauslaufen. Diese ist in den deutschsprachigen Ländern strafbar, anders als zum Beispiel in den Niederlanden oder in Kanada, wo somit rein rechtlich auch einem Sterbefasten bei Demenz nichts entgegenstünde.

Problematik moralischer Bewertungen

Bei jemandem, der etwa durch einen Unfall oder einen Schlaganfall plötzlich entscheidungsunfähig geworden ist, regelt - falls vorhanden - die PV die weitere medizinische Behandlung. Relativ verbreitet aber ist offenbar die Meinung, dass eine Person, die durch eine Demenzerkrankung ganz allmählich entscheidungsunfähig geworden ist, sich nicht in einer vergleichbaren Situation befinde; eine PV aus früherer Zeit dürfe nicht über sie bestimmen, wenn dies zu einem vorzeitigen Tod führe.

Vielleicht ist das nur ein vorgeschobenes Argument aufgrund einer generellen Ablehnung von Suiziden. Jedenfalls ist diese Auffassung keineswegs selten bei den für Demenzpflege Zuständigen; letztlich beanspruchen diese damit, selbst darüber zu entscheiden, was für den Patienten wünschenswert sei. Es gibt somit das Risiko, dass die Festlegungen, die jemand für den Fall der Demenz in seiner PV trifft, später ignoriert werden. Es ist daher dringend erforderlich, durch eine Vorsorgevollmacht eine absolut verlässliche Person dafür zu gewinnen, später für die Durchsetzung der PV zu sorgen. Das wird nicht immer möglich beziehungsweise erfolgreich sein, und diese Befürchtung kann für die Betroffenen durchaus ein Grund sein, den präventiven Suizid zu bevorzugen.

Ferner: Ein sehr ernst zu nehmendes Dilemma besteht darin, dass es niemandem leichtfallen wird, einen Demenzpatienten, den er / sie womöglich schon jahrelang fürsorglich betreut hat, nun durch Vorenthalten von Nahrung und Flüssigkeit sterben zu lassen. Dieses Problem ist sicher am grössten im Fall (a) und am geringsten im Fall (c). Es ist davon abgesehen je nach Person auch eine typologische Frage, nicht zuletzt aber auch eine weltanschauliche, wie schwer man sich damit tut. Es darf kein Zweifel darüber bestehen, dass jemand mit einer solchen Verfügung anderen – eben den Pflegenden und auch den Angehörigen – meist eine grosse seelische Belastung zumutet. Obwohl dies nicht das ausschliessliche Kriterium bei der Beurteilung dieser Form des Sterbens sein sollte, würden wir - die Autoren dieses Beitrags - im Fall der Diagnose Demenzerkrankung der hier diskutierten Möglichkeit einen assistierten Suizid im Zustand der Urteilsfähigkeit vorziehen.

Möglichkeit der Comfortversorgung

Abschliessend ist einzubeziehen, dass immer die Möglichkeit besteht, dass Pflegende erst einmal ausprobieren, was passiert, wenn sie jemandem einen derartigen, vorausverfügten Patientenwunsch erfüllen möchten: Wie weit ist die eigene, die persönliche Belastung tragbar? Vor allem aber: Scheint der Verzicht auf Nahrung und besonders auf Flüssigkeit für die sterbende Person einigermassen erträglich zu sein? Die Erfahrungen mit dem Sterbefasten (vergleiche etwa die Fallbeispiele auf dieser Webseite) legen nahe, dass ein Leiden unter Durst (selten unter Hunger) oft nur temporär auftritt. Wenn es erkennbar schlimm sein sollte, kann der Versuch aufgegeben oder aber der / die Patient/in zeitweilig sediert werden.

Wenn aber jemand den Patientenwunsch letztlich nicht erfüllen will oder meint, nicht erfüllen zu können, kann manchmal auf die sogenannte Comfortversorgung (comfort feeding only; vergl. Literaturangaben unten)) ausgewichen werden, die nicht selten von den Pflegenden irgendwann ohnehin beschlossen wird: Wer mangels Appetit nicht mehr so viel Nahrung zu sich nimmt, wie zum Erhalt des Lebens nötig ist, erhält nur noch gerade so viel, wie es ihm angenehm ist. Das führt zum Tode, meist aber erst im Laufe mehrerer Monate. Auf der Grundlage einer PV könnte stattdessen die Versorgung auch komplett eingestellt werden, so dass der Tod binnen weniger Wochen eintritt. Genaueres hierzu findet man in weiteren auf dieser Webseite zugänglichen Beiträgen:

«Darum lasst mich fröhlich sterben» (von Christian Walther):
«Fachzeitschrift für Palliative Geriatrie», 2017, Nr. 1, Seite 26
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«Comfortversorgung und Pflegezieländerung bei Demenzkranken am Lebensende» (von Chr. Walther und D. Birnbacher).
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Das Buch von Quill und anderen über SED by AD stellt Christian Walther in einer Kurzbesprechung vor:

«Expertenbuch aus USA lotet Grenzen des Sterbefastens aus»
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Christian Walther
Peter Kaufmann

Überarbeitete, 4. Version, März 2023