Sterbefasten- Informationen zu FVNF 
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Fall 7: Vereinsamt auf einem beschwerlichen Weg zum Lebensende

Alter 76; Geschlecht: weiblich; Ort: Pflegeheim (NIL)


Persönlichkeit: Eine alleinstehende Frau, die grossen Wert auf ein gepflegtes Äusseres legte. Innerlich unsicher, war ihr die Meinung anderer sehr wichtig. Ihre Stimmung, die sie meist hinter einer zur Schau getragenen Fröhlichkeit verbarg, war oft traurig.

Vorgeschichte: Ihr war eine glückliche Ehe mit Kindern versagt geblieben. Sie hatte ihr Leben jedoch lange Zeit durchaus zielbewusst gestaltet. Vor einiger Zeit war sie in ein Pflegeheim eingezogen und hatte sich dort zunächst gut eingelebt. Sie erlitt dann jedoch mehrere Wirbelfrakturen, verbunden mit chronischen Schmerzen. Zudem hatte sich ein brennender Schmerz im Genitalbereich (eine Vulvodynie) entwickelt.

Motivation: Vor allem wegen dieser schweren Gesundheitsprobleme hatte sie das Gefühl bekommen, ihr Leben habe keine Perspektive mehr. Daher stellte sie einen Antrag, ihr Leben durch Euthanasie vorzeitig beenden zu lassen, der jedoch abgelehnt wurde (zu Euthanasie vergl. Anmerkungen).

Grund für die Wahl des Sterbefastens: Da die Patientin nun aber entschlossen war, nicht noch länger in diesem für sie trostlosen Zustand zu leben, wandte sie sich an ihren Arzt. Er hatte Verständnis für sie und versprach ihr Unterstützung beim Sterbefasten.

Entscheidungsfindung: Somit ging es nun darum, den Pflegekräften ihr Vorhaben mitzuteilen und ihre Hilfe zu erbitten. Zur ihrer grossen Bestürzung reagierten diese jedoch gänzlich abwehrend. Wegen ihres meist frohgemuten Auftretens (s.o.) konnte niemand ihren Vorsatz verstehen, niemand konnte begreifen, warum sie nun sterben wollte. Alle widersprachen einhellig ihrem Vorhaben und verweigerten jegliche Unterstützung. Die Patientin war vom Verhalten der ihr langjährig vertrauten Heimkräfte äusserst enttäuscht und darüber sehr traurig. Es mussten nun externe Pflegefachkräfte zu Begleitung ihres Sterbefastens herangezogen werden, zumal sie keine Angehörigen hatte, die sie begleiten konnten. Es bestand jedoch ein gutes Verhältnis zu ihrer Nichte; zudem hatte sie eine gute Freundin, und beide besuchten sie später mehrfach.

Schwierigkeiten: Die Patientin nützte die ersten Tage des Sterbefastens, um von mehreren Personen Abschied zu nehmen. Das Trinken stellte sie erst nach und komplett ein. Dann aber litt sie sehr bald unter erheblichem Durst, und das Sprechen fiel ihr oft sehr schwer. Später bekam sie Rückenschmerzen. Gegen Ende des Sterbefastens hatte sie vermehrt Schlafprobleme, und es traten zeitweilig Verwirrungszustände auf.

Pflegerische Unterstützung: Die Mundpflege erfolgte nach allen Regeln der Kunst, das heisst mit Salben, imprägnierten Wattestäbchen, Mundspray, Zahnreinigung und anderem.

Ärztliche Unterstützung: Die Patientin erhielt Morphin gegen die Rückenschmerzen, die dadurch aber nicht gänzlich unterdrückt wurden. Gegen die Verwirrungszustände erhielt sie zunächst Haldol (das typischerweise bei Delirien verwendet wird). Doch dann wurde sie auf ein Benzodiazepin-Präparat (Midazolam) umgestellt, das rasch und kurz wirkt. Dieses Medikament verursachte eine angenehme Schläfrigkeit, und die Patientin klagte nun auch nicht mehr über Durst. Um eine anhaltende Wirkung zu erhalten, wurde der Patientin in den letzten Tagen eine Infusion gelegt, über die das Midazolam kontinuierlich gegeben wurde. Aufgrund dieser sogenannten palliativen Sedierung (siehe Anmerkungen) schlief die Patientin dann fast nur noch.

Dauer: 17 Tage

Tod: Nachmittags in tiefem Schlaf. Dank der Sedierung hatte sie bereits die letzten 48 Stunden nur noch geschlafen.

Bewertung seitens der Sterbenden: Sie machte sich anfangs Sorgen wegen möglicher Komplikationen und empfand diesen Weg, ausser gegen Ende, als körperlich sehr belastend. Einerseits hatte sie vor allem gegen Ende viel Zuspruch von ihrer Nichte und von ihrer Freundin. Andererseits machte es ihr immer wieder sehr zu schaffen, dass die Pflegepersonen, mit denen sie jahrelang ein so gutes Verhältnis gehabt hatte, sich alle von ihr abgewandt hatten, als sie den Entschluss zum FVNF gefasst hatte. Dennoch bewertete sie ihre Entscheidung schliesslich doch als richtig und war froh, dass sie ihn getroffen hatte.

Sicht der Angehörigen im Rückblick: Ihre Nichte betrachtet den Weg ihrer Tante aus dem Leben letztlich als gut und richtig, trotz des erheblichen Leidens, mit dem er zeitweilig verbunden war.

Anmerkungen: In den Niederlanden ist aktive Sterbehilfe (Tötung auf Verlangen und Beihilfe zum Suizid; beides bezeichnet als «Euthanasie») nur Ärztinnen und Ärzten erlaubt. Sterbewillige werden daraufhin beurteilt, ob ihr Leiden für sie unerträglich ist. Im vorliegenden Fall sah der behandelnde Arzt keine Chance dafür, dass von behördlicher Seite dieses Kriterium als erfüllt bewertet würde. Daher konnte er der Patientin ihren Wunsch nicht erfüllen. Solche Entscheidungen führen heutzutage öfters dazu, dass die Patientinnen / Patienten dann den Weg des Sterbefastens wählen, selbst wenn sie diesen als entwürdigend bewerten.

Im vorliegenden Beispiel hatte die optimale Mundpflege nicht verhindern können, dass die Patientin sehr unter Durst litt. Dieses Risiko besteht beim Sterbefasten zwar grundsätzlich, aber in den meisten Fällen wirkt eine professionelle Mundpflege sehr gut, so dass die Patientinnen / Patienten auch ohne eine medikamentöse Behandlung ohne sehr zu leiden ans Ziel gelangen.

Die in diesem Falle erfolgte palliative Sedierung orientiert sich grundsätzlich an verbindlichen fachlichen Empfehlungen. Diese beziehen aber bisher meistens die Situation des Sterbefastens nicht mit ein. In einem medizinethischen Fachbeitrag plädierten B. Schöne-Seifert, D. Birnbacher, A. Dufner und O. Rauprich 2023 für die Zulässigkeit der Sedierung in Situationen wie der hier beschriebenen. In den Empfehlungen der Königlichen Niederländischen Medizinischen Gesellschaft (KNGM, 2024) wird ab Seite 92 ausführlich auf die Sedierung beim FVNF eingegangen (siehe hier).

Quelle: Angaben einer über das Sterbefasten forschenden Person, die sich auf ausführliche Aufzeichnungen des Pflegepersonals und Aussagen des betreuenden Arztes stützte.