Sterbefasten- Informationen zu FVNF 
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Fall 9: ​«Angehörige waren zwischendurch ratlos»

Alter 74; Geschlecht: männlich; Ort: Pflegeheim (NL)


Persönlichkeit: Jemand, der stets genau wusste, was er wollte; Perfektionist. Konnte sehr energisch in der Kommunikation werden und versuchte gern, seinen Willen durchzusetzen. Was ihn interessierte (etwa Musik oder Wein), dem gab er sich passioniert hin. Beruf nicht bekannt.

Vorgeschichte: Litt seit 10 Jahren an Parkinson und war dadurch sehr beeinträchtigt (konnte zum Beispiel nur noch mühsam gehen).

Motivation: Seine Frau war vor ein paar Monaten gestorben. Sie hatte ihm stets als Stütze gedient. Nicht nur deshalb fehlte sie ihm sehr. Die Zukunftsaussichten bedrückten ihn zunehmend.

Grund für die Wahl des Sterbefastens: Die Beihilfe zu einer Selbsttötung wurde ihm verwehrt, weil seine medizinische Verfassung nicht schlimm genug war und weil er ja noch die Chance für ein längeres Weiterleben hatte. In einem Journal für Parkinson-Patienten stiess er dann auf die Beschreibung eines Falles von Sterbefasten, und damit war für ihn sofort klar, dass er diesen Weg gehen wollte.

Entscheidungsfindung: Er war in ein Pflegeheim umgezogen und erhielt von der zuständigen Ärztin die Zusage, dass sie ihn unterstützen werde. Es bestand auch ein gutes Einvernehmen mit Tochter und Sohn. Allerdings wollte er lieber gestern als heute mit dem Sterbefasten beginnen, so dass nicht in Ruhe für gute Voraussetzungen gesorgt wurde.

Schwierigkeiten: Das Sterbefasten wurde direkt nach Weihnachten begonnen, während die Ärztin in Urlaub war. Tochter und Sohn hatten weder von der Ärztin umfassende Aufklärung und Ratschläge zur Mundpflege bekommen, noch erhielten sie vom Pflegepersonal dazu Beratung. Die Angehörigen mussten zudem das Zimmer meist verlassen, wenn pflegerische Tätigkeiten verrichtet wurden; sie konnten somit nicht sehen, was zur Durstlinderung unternommen wurde. Nach einigen Tagen waren die Durstprobleme erheblich. Die Angehörigen erschienen dem Pflegepersonal eher lästig als nützlich.

Pflegerische Unterstützung: Es scheint keine umfassende Bemühung gegeben zu haben, das Durstproblem zu minimieren, doch wurde hin und wieder der Mundraum mit einem Gel bestrichen. Da in dieser Zeit ein Teil der Belegschaft des Pflegeheims in Urlaub war, hatte das Personal einen erhöhten Einsatz zu leisten und beschränkte sich in diesem Fall auf das Nötigste.

Ärztliche Unterstützung: Die Ärztin wurde sofort nach ihrer Rückkehr von der Tochter gedrängt, dem Vater zu helfen, zumal Valium in seiner Situation keine Erleichterung gebracht hatte. Sie gab dem Patienten darauf (vier Tage lang) intravenös Morphin und ein Benzodiazepin (Midazolam), was diesem sichtlich half und dazu führte, dass er entspannt war und öfters einschlief.

Dauer: 9 Tage

Tod: Er starb friedlich im Schlaf.

Bewertung seitens des Sterbenden: Es sind keine Äusserungen überliefert, aber man muss davon ausgehen, dass es für den Patienten zeitweilig sehr schwer war, durchzuhalten. Er hätte den Versuch wieder aufgeben können, doch stand dies für ihn offenbar nicht zur Diskussion.

Sicht der Angehörigen im Rückblick: Tochter und Sohn waren mit dem Anfang und dem Ende des Sterbefastens sehr einverstanden, zwischendurch jedoch ratlos, zumal sie sich von kompetenter Seite im Stich gelassen fühlten. In der Gesamtbilanz war dies aus ihrer Sicht eine sehr gute Art, das Leben in dieser Situation (des Vaters) zu beenden. Beiden war es sehr angenehm und wichtig, dem Vater in diesen Tagen noch ganz nahe gewesen zu sein. Als er zu schwach geworden war, um zu sprechen, konnte die Kommunikation mit ihm aufrecht erhalten werden, indem er auf Fragen mit Handzeichen antwortete.

Anmerkungen: Die Entscheidung des sehr energischen Patienten war offensichtlich überstürzt in die Tat umgesetzt worden. Daher wurde versäumt, von der Ärztin die wichtigsten Informationen einzuholen. Tochter und Sohn befeuchteten dem Vater immer wieder die Lippen mit einem Schwamm, was diesen verleitete, an diesem zu saugen, um den Durst zu lindern.

Quelle: Berichte von Augenzeugen über Fälle von vorzeitiger Beendigung des Lebens. Interviews auf einer DVD; Produzent: Boudewijn Chabot.

Hinweis: Dieser Fall wird im Buch «Sterbefasten» (Kohlhammer, 2020) ausführlicher dargestellt.