Sterbefasten- Informationen zu FVNF 
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Fall 3: «Klärend und hilfreich für die Lebensphase vor dem Tod»

Alter: 54; Geschlecht: weiblich; Ort: Krankenhaus (CH)

Persönlichkeit: H.R. war eine eigenständige, starke und ausdauernde, zugleich empathische und sehr liebenswürdige Frau. Sie hatte einen Universitätsabschluss in Staatswissenschaften erworben und war dann viele Jahre im oberen Führungskader kantonaler und interkantonaler Institutionen tätig; jahrelang war sie die einzige Frau in einer ausgesprochenen Männerdomäne.

Vorgeschichte: Sie war erst 49 Jahre alt, als bei ihr Ende 2015 ein Darmtumor im 4. Stadium festgestellt wurde. Es folgte ein Behandlungsmarathon mit Bestrahlungen, halbjähriger Chemotherapie und dazwischen einer grossen Darmoperation. Während der Rehabilitation konnte sie schon wieder ein wenig arbeiten. 2017 gelang H.R. sogar der Wiedereinstieg in ihre anspruchsvolle berufliche Führungsaufgabe. Doch im Frühjahr 2018 wurden Rezidive diagnostiziert; es folgte eine zweite Chemotherapie sowie eine grosse Operation am Universitätsspital nach dem Therapiekonzept CRS/HIPEC (siehe Anmerkungen) - mit vorübergehendem Erfolg: Im Herbst 2019 kam es erneut zu Rezidiven und die Diagnose lautete nun «unheilbar». Während der weiteren, rein palliativen Behandlung kam es 2020 zu weiteren körperlichen Belastungen und Einschränkungen; zum Beispiel trat trotz Magensonde und Spezialmedikamenten sehr häufig massives Erbrechen auf.

Motivation: H.R. entschloss sich nach einwöchigem Spitalaufenthalt ohne Aussicht auf Beschwerdenlinderung zum Sterbefasten, das sie angesichts des leidvollen Krankheitsverlaufs als eine «natürliche Beschleunigung» des Sterbens verstand.

Grund für die Wahl des Sterbefastens: Anfänglich bestanden vor allem beim Ehegatten Vorbehalte gegen das Sterbefasten aus Sorge vor möglichen Halluzinationen und einer absehbaren Überforderung der Pflegenden zu Hause. Aufgrund des massiven Erbrechens und des Pflegebedarfs war aber ohnehin ein stationärer Krankenhausaufenthalt notwendig geworden, so dass man sich auch wegen Halluzinationen keine grossen Sorgen mehr zu machen brauchte. Die Ärzte sprachen zu diesem Zeitpunkt von einer möglichen Lebenserwartung von etwa vier bis sechs Wochen.

Entscheidungsfindung: An einem Samstagabend sagte H.R. zu ihrem Mann, dass sie ihren aktuellen Zustand nicht mehr aushalte und fragte ihn, welche Möglichkeiten es gäbe, ihr Leben zu beenden. Da sie nicht Mitglied bei EXIT war, machte er sie auf die Möglichkeit des Sterbefastens aufmerksam. Bereits am Sonntagmorgen war für sie die Entscheidung vollkommen klar, und sie teilte auf der Visite dem Chefarzt mit, dass sie mittels Sterbefasten möglichst bald sterben wolle.

Schwierigkeiten: Die ersten fünf Fastentage ging es H.R. deutlich besser, da das Unwohlsein und Erbrechen seltener geworden waren. Etwa ab dem sechsten Tag musste sie manchmal trotz Flüssigkeitsverzicht erbrechen, vereinzelt auch im Schlaf. Am siebten Tag wurde der Durst qualvoll, und sie verlangte nach einem Glas Wasser. Nach längerer Diskussion stellte ihr Mann ihr ein halbvolles Glas hin. Nach intensivem innerem Kampf trank sie dann aber nichts. Trotz ihrer zunehmenden körperlichen Schwäche hatte sie einen gesteigerten Bewegungsdrang. Zweimal stürzte sie, als sie aus dem Bett aufstehen wollte, worauf Sicherheitsgitter angebracht wurden. Weiterhin war es ihr aber ein dringendes Bedürfnis, sich zu bewegen oder gar aufzustehen.

Pflegerische Unterstützung: Die Patientin erhielt auf der Halbprivatabteilung eines Ostschweizer Krankenhauses eine exzellente Pflege; alle Pflegefachpersonen waren sehr empathisch und rücksichtsvoll. Die etwa 4x tägliche Mundpflege konnte H.R. bis fast zum Schluss selbst erledigen.

Ärztliche Unterstützung: Auch diese war hervorragend. Der Chefarzt reagierte verständnisvoll auf ihre Entscheidung zum Sterbefasten und fragte nur nach, ob der Ehemann bereit sei, seine Frau während der Sterbefastenzeit vor Ort zu begleiten. Auf diese Zusage hin wurde sogleich ihre Dauer-Infusion beendet und das Getränk auf dem Tisch entfernt, und dem Ehegatten wurde das zweite Bett im Doppelzimmer zum Übernachten angeboten.

Dauer: 12 Tage. Ab dem zehnten Tag wurde H.R. immer schläfriger, ab dem elften Tag war sie kaum noch ansprechbar.

Tod: In der Nacht des zwölften Tages schlief H.R. friedlich «hinüber», ohne dass ihr Mann es bemerkte.

Bewertung seitens der Sterbenden: Der langsame und doch absehbar befristete Sterbeprozess half ihr, «natürlich und überblickbar rasch sterben zu können», wie sie es selbst formulierte. So konnte sie sich in dieser Zeit, trotz massiver Corona-Einschränkungen, bewusst an einzelnen Tagen von Menschen, die ihr sehr nahestanden, verabschieden.

Sicht der Angehörigen im Rückblick: Ihr Mann: «Nach Wochen und Monaten voller Ungewissheit und anspruchsvoller Pflege zu Hause, erlebte ich sowohl den Entscheid als auch das Sterbefasten an sich im Umfeld des Spitals als sehr entlastend. Am achten Tag des Sterbefastens würdigten wir noch bei vollem Bewusstsein meiner Frau unseren 20. Hochzeitstag. Die Begleitung durch das Palliativ-Team des Krankenhauses half mir, die Fastenentwicklung einzuschätzen. Ich erlebte die zehn bewussten Fastentage meiner Frau nicht als schwierig, sondern als klärend und hilfreich für die Lebensphase unmittelbar vor dem Tod. Diese bewusste und langsam vergehende, gemeinsame Zeit, die ich noch an der Seite meiner Frau verbringen durfte, erlebte ich als bereichernd. Wir freuten uns gemeinsam, neben allem Unverständnis, auf die Erlösung von den massiven Beschwerden und das ‘Hinübergehen können’ meiner Frau ‘zu einem allumfassenden, letztendlichen, liebenden Gott’.»

Anmerkungen: CRS und HIPEC sind Bestandteile eines neueren Therapiekonzepts des US-Chirurgen Paul Hendrick Sugarbaker für metastasierte, bösartige Tumore des Bauchraums. Dabei werden die Tumorherde vollständig entfernt und anschliessend bei dem noch narkotisierten Patienten die nicht sichtbaren Tumorreste mit einer hyperthermen Chemotherapie zerstört. Vor und nach dem Eingriff ist oft eine Chemotherapie nötig.

Quelle: Schriftlicher Bericht des Ehemannes 2020. Präzisierungen per Mail. Nachfragen möglich.