Sterbefasten- Informationen zu FVNF 
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Fall 25: «Selbstbestimmung im Sterbefasten»

Alter: 89; Geschlecht: männlich; Ort: zuhause (D)

Persönlichkeit: Ein sehr selbstbestimmter, eher wortkarger Lehrer an einer Berufsschule, der ganz jung noch am 2. Weltkrieg teilgenommen hatte. Handwerklich talentiert, musikalisch, naturverbunden und unter anderem interessiert an Reisen in Europa, die er wiederholt für Gruppen von Freunden und Angehörigen selbst organisierte. Verheiratet; 3 Kinder.

Vorgeschichte: Nach dem Eintritt in den Ruhestand verbrachte er mit seiner Frau zunächst mehrere Jahre glücklich, meist in einem Häuschen auf dem Lande, doch dann wurde bei ihm ein Prostata-Karzinom festgestellt. Er liess sich (im 71. Lebensjahr) auf ärztlichen Rat operieren, wodurch er allerdings impotent wurde. Sechs Jahre später folgte eine Hüftoperation; zu dieser Zeit entwickelte sich eine Allergie, die auch später immer wieder auftrat. Er wurde schwerhörig, seine Kräfte liessen nach und zuweilen stürzte er, so dass er dann das Radfahren aufgeben musste. Mit 88 Jahren erlitt er einen Schlaganfall; die Folge: eine Halbseitenlähmung. Nun war er auf einen Rollator angewiesen. Seine Situation bedrückte ihn zunehmend. Eines Tages kam es zu starken Bauchschmerzen. Diese legten sich zwar nach einer Weile, aber er hatte beschlossen, auf keinen Fall sich noch einmal in eine Klinik einweisen zu lassen und legte dies auch in einer Patientenverfügung fest.

Motivation: Als es erneut zu sehr heftigen Bauchschmerzen kam und der Arzt Metastasen als Folge des Prostata-Karzinoms vermutete, äusserte der Patient den Wunsch, nun sein Leben zu beenden. Der Arzt lehnte es allerdings ab, ihm dabei zu «helfen».

Grund für die Wahl des Sterbefastens: Wegen der heftigen Bauchschmerzen (die möglicherweise palliativ unzureichend behandelt wurden) konnte der Patient kaum noch essen. Seine Entscheidung zum Sterbefasten traf er in dieser Situation ganz allein – sei es intuitiv, sei es, dass er davon früher einmal gehört hatte.

Entscheidungsfindung: Die Familie willigte diskussionslos ein, ihn darin zu unterstützen, auch wenn die Ehefrau mit diesem Entschluss nicht glücklich war. Der Arzt sagte Unterstützung zu. Es wurde ein Pflegedienst hinzugezogen.

Schwierigkeiten: So gut wie keine. Die Töchter, die den Vater pflegten, erhielten allerdings vom Pflegedienst keinerlei Instruktionen für die Mundpflege.

Pflegerische Unterstützung: Die Töchter (mal die eine, mal die andere) kümmerten sich von morgens bis abends mit viel Liebe und Sorgfalt um ihren Vater, und die Ehefrau verbrachte sehr viel Zeit bei ihm. Es gab offenbar keine Probleme durch Mundtrockenheit, weil ausgiebig Mundpflege vorgenommen wurde. Der Sterbende genoss es auch, dass ihm immer wieder die Füsse massiert wurden.

Ärztliche Unterstützung: Regelmässige Krankenbesuche des Arztes. Obwohl der Sterbende nie Unruhe gezeigt oder über Schmerzen geklagt hatte, gab ihm der Arzt am Abend des vorletzten Lebenstages eine Morphium-Spritze, als der Tod des Patienten schon nahe schien. Er wiederholte dies am Morgen und Abend des letzten Lebenstages.

Dauer des Sterbefastens: 9 Tage.

Tod: Friedlich am späten Abend.

Bewertung seitens des Sterbenden: Er genoss in den ersten Tagen die Situation ganz offensichtlich, zeigte keine Unruhe oder Ungeduld und war sicher davon überzeugt, dass dieser Weg für ihn gut und richtig war.

Sicht der Angehörigen im Rückblick: Die Mutter war während dieser Tage zwar wie in einem Ausnahmezustand und litt anschliessend sehr unter dem Trennungsschmerz. Doch wie die Töchter, so empfand auch sie die Entscheidung zum Sterbefasten und dessen Verlauf als stimmig.

Anmerkungen: Die Begründung des Arztes für die Morphin-Gabe war, eine mögliche Unruhe des Patienten in der akuten Sterbephase zu verhindern. Dagegen hätte man gegen Unruhe und Ängste Benzodiazepin geben können. Allerdings zeigt das Studium etlicher weiterer Fälle, dass eine Verabreichung von Morphin gegen Ende des Sterbefastens nicht selten ist. Es könnte sein, dass man damit sicher gehen will, dass die letzten Tage und Stunden für den Sterbenden (fast) frei von Leiden sind.

Quelle: Interview der beiden Töchter mit Christian Walther.

Hinweis: Dieser Fall wird im Buch «Sterbefasten» (Kohlhammer, 2020) ausführlicher dargestellt.