Sterbefasten- Informationen zu FVNF 
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Fall 24: «Dann war es soweit»

Alter: 71; Geschlecht: weiblich; Ort: zuhause (D)

Persönlichkeit: Eine sehr energische, selbstbestimmte Frau, die ihr Leben und schliesslich ihr Sterben nach ihren eigenen Vorstellungen zu gestalten wusste.

Vorgeschichte: Sie arbeitete sich über den sogenannten zweiten Bildungsweg nach und nach akademisch und beruflich empor: Magister in Politologie, zeitweilig bei Gericht (in untergeordneter Stellung) tätig, danach Mitarbeiterin in der Verwaltung der Industriegewerkschaft Chemie (heute Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie, IG BCE). Mit 57 Jahren schied sie über eine Vorruhestands-Regelung bereits aus dem Berufsleben aus. Seit dem 35. Lebensjahr verheiratet mit einem Schreinermeister, der als Orgelbauer beschäftigt war. Aus der Ehe gingen keine Kinder hervor. Das Ehepaar genoss den Ruhestand in beschaulichem, tätigem Landleben auf einem abgeschiedenen Dorf, machte aber auch viele Reisen.

Motivation: Sie litt an einer zunächst leichten chronischen obstruktiven Lungenerkrankung (COPD, Abkürzung für «Chronic obstructive pulmonary disease»). Diese wurde bei ihr nachgewiesen, als sie etwa 53 Jahre alt war. Atembeschwerden traten zunächst nur bei körperlicher Anstrengung auf; ein Spray half ihr wenig. Ihr war bewusst, dass dieses Leiden progressiv sein und ihre Lebenserwartung verkürzen werde. So wurde es ihr wichtig, sich über mögliche Zukunftsszenarien klare Vorstellungen zu machen. Mit Sauerstoffzufuhr wollte sie später nicht leben – das wäre für sie eine Verlängerung des Leidens und eines sehr eingeschränkten Lebens gewesen. Sie studierte nun deshalb Bücher über Sterbehilfe und Suizidmöglichkeiten.

Grund für die Wahl des Sterbefastens: Im Alter von 70 Jahren erlitt sie unversehens einen Schlaganfall mit kompletter Halbseitenlähmung rechts, jedoch ohne wesentliche Beeinträchtigung des Sprachvermögens. Sie begann sogleich energisch mit dem Reha-Training. Doch dann kam ein neuer Schicksalsschlag: Sie stürzte, zog sich überaus schmerzhafte Prellungen am Rücken zu und musste etwa fünf Wochen mit der Reha aussetzen. Als sie das Training wieder aufnehmen wollte, waren ihre Muskeln aber ziemlich atrophiert, so dass sie nicht mehr in der Lage war, die notwendigen Übungen zu machen. Ihre Lungenprobleme sorgten dann für zusätzliche Einschränkungen, weil ihr jeweils im wahrsten Sinne des Wortes die Luft für ein effektives Training ausging. Nun wusste sie: Es ist so weit.

Entscheidungsfindung: Da sie auf keine andere Möglichkeit setzen konnte als auf das Sterbefasten und weil sie dieses auch dank Lektüre seit langem als eine gute Möglichkeit für sich sah, war es unmittelbar klar: Diesen Weg würde sie nun gehen. Bei ihrem Mann fand sie volles Verständnis, ebenso bei den nächsten Freunden. Der Arzt ging mit der Situation gelassen um und versprach ihr ohne Zögern, sie beim Sterbefasten, wenn nötig, zu unterstützen.

Schwierigkeiten: Die Patientin konnte ihren Durst nur schwer beherrschen, und längere Zeit trank sie täglich etwa 250 ml Wasser. Als sich aber kein Ende des Lebens für sie abzeichnete, wurde sie ungeduldig – ebenso wie ihr Mann, dem es nicht gelang, durch seine Bemühungen den Durst hinreichend zu besänftigen. Gut drei Wochen nach Beginn des Sterbefastens wurde dann der Arzt gerufen und seine Hilfe erbeten.

Pflegerische Unterstützung: Das Ehepaar hatte beschlossen, keine professionelle Pflege anzufordern. Man hatte sich längst ausgiebig mit dem, was in dieser Situation zu tun war, anhand eines bekannten Buches über das Sterbefastens vertraut gemacht. Mundpflege mit Lippenbalsam machte die Patientin selbst, gelegentliche Eiswürfel mit Zitrone und bei Bedarf Besprühen des Mundraumes besorgte ihr Mann.

Ärztliche Unterstützung: Als der Arzt gerufen wurde, verordnete er kurz entschlossen sowohl Opiate als auch ein Benzodiazepin. Ein Fentanylpflaster wurde angebracht. Die Patientin nahm dann bei Bedarf zusätzlich ein leichtes Opiat ein. Das erleichterte offenbar das immer wieder auftretende Leiden am Durst und half ihr auch, endlich die Flüssigkeitsaufnahme auf die meist empfohlenen ca. 50 ml / Tag zu reduzieren. Wenn ihr alles zu viel wurde, nahm sie das Benzodiazepin und schlief dann meist ein paar Stunden, wonach sie sich durchaus erfrischt fühlte.

Dauer des Sterbefastens: 39 Tage.

Tod: Am Tag vor ihrem Tode schlief sie fast nur noch, und sie verstarb an einem Vormittag im Schlaf.

Bewertung seitens der Sterbenden: Sie hatte nie Zweifel, dass dies für sie das Richtige war, und als sie dann nach der langen «Durststrecke» dank der Medikamente kaum noch zu leiden hatte, war sie guter Laune und guten Mutes, dass sie nun ihr Ziel erreichen werde.

Sicht der Angehörigen im Rückblick: Der Ehemann war froh, dass er – wie versprochen und von ihm selbst gewünscht – hatte helfen können, damit sich der Sterbewunsch seiner Frau erfüllen konnte. Zur Bewältigung des schmerzlichen Verlustes war die Geborgenheit im Freundeskreis das Wichtigste.

Anmerkungen: Die Verstorbene war seinerzeit der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) beigetreten, nicht zuletzt, um sich über technische Möglichkeiten eines Suizides zu informieren. Der restriktive Rahmen für Suizidhilfe in Deutschland war ihr ein grosses Ärgernis. Im Sterbefasten sah sie dann nicht nur eine zweitbeste Möglichkeit, vorzeitig das Leben zu beenden; vielmehr war sie nach der Lektüre eines einschlägigen Buches über dieses Thema so angetan, dass sie es mehrfach an Bekannte verschenkte.

Quelle: Interview, das der Ehemann Christian Walther im Herbst 2019 gab.