Sterbefasten- Informationen zu FVNF 
            Sterbefasten- Informationen zu FVNF 
            Sterbefasten- Informationen zu FVNF

Fall 20: «Entschluss überraschte die Familie»

Alter: 85; Geschlecht: männlich; Ort: zuhause (CH)

Persönlichkeit: Ein gebildeter, vielseitig interessierter Mensch, der gerne musizierte und in seinem ganzen Leben immer klare Entscheidungen fällte. Im Pensionsalter erstellte er leidenschaftlich gerne Dokumentationen und Webseiten. Er führte ein «abgerundetes, glückliches Leben».

Vorgeschichte: Er war nicht sterbenskrank. Diverse medizinische «Sörgeli» waren vorhanden, jedoch nichts Lebensbedrohliches. Vorstufe von Hautkrebs wurde seit Jahren gut behandelt. Nachlassende Sehkraft, eine nächste Augenoperation steht an. Gelegentlich Schwindel. Dem Alter entsprechend setzte sich der mehrfache Familienvater öfters mit dem Sterben und dem Tod auseinander und diskutierte auch mit seinen Angehörigen darüber.

Motivation: Sorge vor abnehmender Lebensqualität: Spaziergänge, Fahrten mit dem ÖV ohne Begleitung und das Musizieren werden schwieriger. Angst vor der Vergesslichkeit, was seine geliebte Arbeit am Computer erschweren würde. Möchte den Angehörigen nicht zur Last werden. Angeregt durch Artikel des ehemaligen Zürcher Stadtarztes Albert Wettstein entschied er sich zum Sterbefasten. Einer seiner Söhne recherchierte im Internet zum Thema und erzählte ihm von den Fallbeispielen auf sterbefasten.org. Diese gefielen ihm und bestärkten ihn in seinem bereits gefällten Entscheid.

Grund für die Wahl des Sterbefastens: Es erlaubt ein «natürliches» Sterben und ein intensives Abschiednehmen von den Angehörigen. «Schon früher starben manchmal Menschen durch Sterbefasten, ohne grosses Aufsehen und ohne dass man das so genannt hat.» Sterben mit EXIT konnte er sich nicht vorstellen.

Entscheidungsfindung: Nach zwei Tagen Durchfall (vermutlich ein Virus) hatte er einen Wachtraum vom Sterben. Dieser Traum löste gute Gefühle aus, und er entschloss sich, mit dem Sterbefasten zu beginnen. Sein leerer Magen schien ihm ein guter Start zu sein. Die Patientenverfügung war jedoch für ein Sterbefasten nicht geeignet und musste deshalb mit Hilfe eines Sohnes an die veränderte Situation angepasst werden.

Schwierigkeiten: Weil er nur rund 50 ml Flüssigkeit pro Tag einnimmt, bleibt trotz sorgfältiger Mundpflege (Befeuchtung mit Glyzerin-Präparat oder Butter) ein trockener Mund, was sehr unangenehm ist. Ein Luftbefeuchter und Gurgeln mit kaltem Wasser helfen, die Trockenheit etwas zu lindern. Am zweitletzten Tag wird der Sterbende zunehmend unruhig; schlafen wird schwierig, die Beine kribbeln, der Tod naht. Der Sterbende wünschte sich für eine solche unangenehme Situation eine Sedierung und hat das in der Patientenverfügung auch so fest gehalten.

Pflegerische Unterstützung: Eine Bekannte seiner Tochter arbeitet in einem Palliative-Team, das den Sterbeprozess begleitet. Die Spitex hilft ab der zweiten Woche mit der Pflege. Stark eingebunden sind auch die Angehörigen, die ihn beispielsweise beim Duschen begleiten, ihm helfen, die Todesanzeige aufzusetzen, mit ihm Musik hören, für ihn singen, aus seinen Tagebüchern vorlesen oder einfach für ihn da sind. Intensiv ins behutsame Abschiednehmen einbezogen werden auch die Enkelkinder.

Ärztliche Unterstützung: Auf Wunsch der Angehörigen Besuch des Hausarztes am 1. Tag des Sterbefastens. Er diskutiert mit seinem langjährigen Patienten und den Angehörigen, klärt über die medizinischen Aspekte des Sterbefastens auf und bietet seine Unterstützung an, auch für den Fall, dass das Sterbefasten wieder abgebrochen würde.

Dauer: 14 Tage

Tod: Am zweitletzten Lebenstag verordnet der Arzt des Palliativteams am Nachmittag Beruhigungsmittel und am Abend eine Sedierung. Der Patient stirbt ruhig und zufrieden.

Bewertung des Sterbefastens seitens der sterbenden Person: Das Sterbefasten war für ihn stimmig, obwohl er den frühen Entschluss zu sterben, überraschend getroffen hatte. Die Zeit des Sterbefastens war intensiv. Viele Gespräche, viel Aufmerksamkeit, viele Menschen, Trauriges, Schönes und Lustiges. Die zunehmenden Einschränkungen während des Fastens nahm er gleichmütig hin: Laufen wird anstrengender, später nur noch im Rollstuhl, am Ende bettlägerig. Das Sprechen wird wegen des trockenen Mundes immer unangenehmer. Bis zur Sedierung guter Dinge. Er bewahrte den Humor und war dankbar für alles.

Sicht der Angehörigen im Rückblick: Seine engsten Familienmitglieder konnten seinen Entscheid zuerst nicht verstehen, akzeptierten aber seinen Wunsch. Mit der Zeit konnten sie seine Argumente und Überlegungen nachvollziehen und unterstützten ihn auf seinem selbstbestimmten Weg ohne moralische Vorbehalte. «Sein Sterbensweg war für uns sehr traurig, aber auch stimmig und schön. Wir hatten Zeit uns zu verabschieden. Wir sind froh, dass unser Vater so schön sterben konnte.»

Anmerkungen: Die Möglichkeit der Sedierung in der Endphase war eine grosse Erleichterung für die Angehörigen. Stimmig und abgesprochen mit allen Anwesenden (dem Sterbenden, seiner Frau, den Kindern und den Palliativ-Pflegenden) wurde am Abend die Sedierung eingeleitet. Der Sterbende bedankte sich für alles und legte sich bequem hin. Für die Angehörigen war es schön, zu wissen, dass der Sterbende tief und schmerzfrei in den Tod schlafen wird. Das ruhige Atmen und der Gesichtsausdruck waren stimmig. Einen halben Tag später setzt die Atmung im Beisein eines Grosskindes aus.

Quelle: Persönliche Aufzeichnungen des Sterbenden und seiner erwachsenen Kinder. Der Sterbende war damit einverstanden, dass seine Geschichte als Fallbeispiel dokumentiert wird.

Hinweis: Dieser Fall wird im Buch «Umgang mit Sterbefasten» (Mabuse-Verlag, 2019) ebenfalls dargestellt. Im Buch «Sterbefasten» (Kohlhammer, 2020) ist dieser Fall in ausführlicher, von der Familie autorisierter Form nachzulesen.