Sterbefasten- Informationen zu FVNF 
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Sterbefasten – eine althergebrachte Art

Das Sterbefasten hat eine lange Tradition: Was ist beim freiwilligen Verzicht auf Essen und Trinken zu beachten? Welche Probleme ergeben sich?


Jeden Herbst wird im Alters- und Pflegeheim W. den Bewohnern und ihren Angehörigen eine Metzgete ausgerichtet. Frau G., 87-jährig, fast taub und schwer gehbehindert, aber sonst nicht unheilbar krank, freute sich. Sie ass sich unten im Saal durchs reichhaltige Angebot. Am nächsten Tag verweigerte sie konsequent das Essen und Trinken und sagte, sie wolle nun sterben. Ihre Tochter und das Pflegepersonal versuchten sie zu bewegen, wieder ein wenig Nahrung oder doch zumindest Flüssigkeit aufzunehmen, doch sie blieb bei ihrer Ablehnung. Ohne sichtbar grosses Leiden starb sie zehn Tage später.

Seit altersher weltweit immer wieder praktiziert

Die Möglichkeit des Sterbefastens haben alte und / oder kranke Menschen weltweit wohl schon immer spontan gewählt, um das Leben zu beenden, wenn es für sie nicht mehr gut war. Das Sterbefasten war auch in Europa seit der Antike bekannt, wie einige Texte von griechischen und römischen Autoren bezeugen. Aufgrund der Diskussionen über Sterbehilfe, Suizid und Palliative Care befassten sich nach der Jahrtausendwende vor allem in einigen westlichen Länder (vorab USA, Holland und Deutschland) neue Publikationen mit dem Thema. So etwas das Standardwerk «Ausweg am Lebensende», das 2012 erstmals aufgelegt wurde. Dass seither bereits mehrere Auflagen ausgeliefert werden konnten, belegt die Wichtigkeit und Aktualität des Themas. Die beiden Autoren Chabot und Walther halten fest: «Dass man das Leben nach einer autonomen Entscheidung eines Tages durch Sterbefasten beenden kann (...), wird für manche etwas Befreiendes und Beruhigendes darstellen.» Seit einigen Jahren finden sich mit einer Google-Suche zahlreiche Einträge zum Thema. Allerdings gibt es im deutschsprachigen Raum bis heute kaum medizinische Untersuchungen zum Sterbefasten.

Der Vorgang des Sterbefastens

Im Sinne der Selbstbestimmung bis ans Lebensende hat jeder Mensch das Recht, die Aufnahme von Nahrung und Flüssigkeit zu verweigern. Viele ältere und kranke Menschen essen ohnehin weniger und trinken sogar oft auch zu wenig. Der Entschluss, gar nichts mehr zu sich zu nehmen, ist daher nur ein kleiner Schritt. Grundsätzlich gelten beim Sterbefasten die gleichen Bedingungen wie beim assistierten Suizid: Man muss urteilsfähig und nicht von Dritten beeinflusst sein, der Entschluss, sterben zu wollen, muss wohlerwogen und dauerhaft sein. Die letzten beiden Punkte lassen sich beispielsweise dadurch beweisen, dass immer ein Glas Wasser in Reichweite des Sterbenden steht und er dennoch nicht trinkt.

In den ersten Tagen des Sterbefastens kann der endgültige Entschluss zu sterben noch gründlich überdacht und rückgängig gemacht werden, indem man wieder zu essen und zu trinken beginnt. Bei konsequentem Verzicht auf das Trinken produzieren die Nieren nach etwa einer Woche kaum noch Urin, Harnstoff und andere Abbauprodukte des Körpers können nicht mehr ausgeschieden werden. Der fastende Mensch wird nun rasch schwächer und meist ist er sehr schläfrig. Nimmt er in diesem, meist nicht als unangenehm empfundenen Zustand etwas Wasser zu sich, beginnen die Nieren erneut zu arbeiten und es ergeben sich gelegentlich wieder klare Momente, in denen der fastende Mensch mit seinen Mitmenschengut kommunizieren kann. Dies ist vielen Personen sehr wichtig, möchten sie doch mit ihrer näheren Umwelt noch möglichst viel Kontakt haben. Je nach Gesundheitszustand und allenfalls eintretenden Nebenwirkungen stirbt man nach ein bis drei Wochen Sterbefasten; wer Flüssigkeit zu sich nimmt, verlängert den Sterbeprozess jedoch beträchtlich.

Kein grosses Leiden

Für viele Angehörige, oft aber auch für das Pflegepersonal, das eine persönliche, meist sogar jahrelange Beziehung zu einem alten Menschen aufgebaut hat, bringt das Sterbefasten schwierige Entscheidungen. Viele haben das Gefühl: «Ich kann doch einen Menschen nicht verhungern und verdursten lassen.» Rechtlich gesehen liegt es jedoch in der Autonomie eines Menschen, die Nahrungsaufnahme und allenfalls auch die künstliche Ernährung abzulehnen. Falls dies ausdrücklich mitgeteilt und - am besten: in einer Patientenverfügung - schriftlich festgehalten wird, entfällt die Garantenpflicht von Medizinpersonen und Pflegepersonal. Sie sind dann eindeutig davon entbunden, dieses Leben mit allen Mitteln zu erhalten.

Beim Sterbefasten verschwindet das Hungergefühl meist schon ab dem zweiten oder dritten Fastentag fast völlig. Der Verzicht auf Flüssigkeit fällt meist schwerer, und viele tun sich leichter, wenn sie die Flüssigkeitsaufnahme nur nach und nach reduzieren. Bei guter Mundpflege verschwindet jedoch das Dursatgefühl nach und nach. Die Mundpflege ist laut Chabot / Walther «von allen praktischen Massnahmen die wichtigste». Dabei muss streng darauf geachtet werden, dass die Schleimhäute durch Speichel, Wasser oder Mittel, die den Speichel ersetzen, befeuchtet werden. So können auch meistens Erkrankungen der Schleimhäute durch Pilze, Keime und andere Erreger vermieden werden. Das Buch «Ausweg am Lebensende» gibt zu diesen und anderen Problemen ausführliche Tipps. Bei der Beachtung der wichtigsten Grundsätze verursacht das Sterbefasten kein grosses Leiden. Es ist vielmehr eine Möglichkeit, in Würde selbstbestimmt zu sterben.

PETER KAUFMANN

Stand 2022 (ursprünglich aus EXIT Info 4/2013)



Buch:
* Boudewijn Chabot, Christian Walther «Ausweg am Lebensende. Sterbefasten – Selbstbestimmtes Sterben durch freiwilligen Verzicht auf Essen und Trinken», Erstauflage 2012, Ernst Reinhardt Verlag München Basel, ISBN 978-3-497-02274-8. Die 6. Auflage des Erfolgsbuches erschien im Mai 2021.