Sterbefasten- Informationen zu FVNF 
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Sterbefasten – (FVNF) eine erste Orientierung

Steckbrief FVNF

Verweigerung von Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme zur Durchsetzung des eigenen Sterbewillens

Anmerkungen zu einem heiklen Thema von Dr.rer.nat. Christian Walther, Marburg

Begriffe

Ärztlicher Ausdruck (meist): Freiwilliger Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit (FVNF). Nachteil: Kein expliziter Bezug auf das damit bezweckte vorzeitige Sterben; umständlich, aber neutral.

Gängiger kurzer Ausdruck: Sterbefasten, vor allem in der Literatur für die Allgemeinheit. Nachteil: Flüssigkeitsverzicht wird nicht angesprochen; Vorwurf: schönfärberisch.

Ob FVNF manchmal / immer ein Suizid ist, bleibt umstritten; die Hilfe beim FVNF wird gewöhnlich aber nicht als Suizidhilfe bewertet.

Abgrenzungen

Zu unterscheiden sind diese Situationen:

Eine Person

a) kann noch essen und trinken und entscheidet sich bewusst, Essen und Trinken einzustellen, um zu sterben. Zu diskutieren ist, ob auch Menschen, denen die Nahrung zum Munde gereicht werden muss, noch zu dieser Fallgruppe zu rechnen sind oder eine eigene Gruppe darstellen sollten.

b) kann noch essen und trinken und hört nun +/- unbewusst damit auf, mit der Folge, dass sie deshalb in absehbarer Zeit versterben wird.

c) wird bereits künstlich (Sonde, Infusion) versorgt und verlangt Beenden der künstlichen Versorgung.

d) ist in einem gesundheitlichen Zustand, bei dem die Indikation für künstliche Versorgung nicht mehr gegeben ist, da die Person dem Tode schon sehr nahe ist oder als sterbend betrachtet wird.

Die Abgrenzung zwischen a) und b) ist meist, doch nicht immer möglich. Vorschlag zur Terminologie: a) = eigentlicher FVNF; b) = uneigentlicher FVNF. c) und d) hat mit dem Thema nichts zu tun, auch wenn sich hier die praktischen Erfahrungen mit denen in den anderen Situationen vergleichen lassen.

Vorschlag zur Terminologie

a) = eigentlicher FVNF

Beim eigentlichen FVNF ist von einer (gegebenenfalls abzuklärenden) Freiverantwortlichkeit oder Einsichtsfähigkeit (von dem in Deutschland gebräuchlichen juristischen Begriff «Geschäftsfähigkeit» zu unterscheiden) auszugehen. Es wird empfohlen, die Absicht zu sterben, in einer Verfügung niederzulegen. Es erfolgt ein Verzicht, um den Sterbewunsch durchzusetzen. Beim Ausführen dieses schwierigen Vorhabens bestätigt sich auch die Freiverantwortlichkeit des Sterbefastenden. Anders als etwa bei einem Tabletten-Suizid kann man sich in den ersten, etwa fünf Tagen zum Weiterleben um-entscheiden, ohne bleibende körperliche Schäden zu riskieren, was eine wichtige Besonderheit des FVNF ist.

b) = uneigentlicher FVNF

Beim uneigentlichen FVNF gibt es Unsicherheiten der Beurteilung, vor allem wenn demente Patienten nicht mehr essen und trinken wollen. Es kann gegebenenfalls ein Verweigern sein, um nun aus dem Leben zu scheiden. Es können aber auch andere, behebbare Gründe vorliegen - Abklärung nötig!

Ursachen des Sterbewunsches

Schwere unheilbare Erkrankung, deren Ende man trotz bester medizinischer Versorgung nicht abwarten will; langjährige unheilbare Erkrankung mit stetig abnehmender Lebensqualität (zum Beispiel Parkinson, Multiple Sklerose, Polyarthrose, Diabetes); Einschränkungen der Lebensmöglichkeit zum Beispiel durch Amputation, Erblindung. Zunehmender Verlust der Autonomie und Sorge vor weitgehendem Kontrollverlust. Die Aussicht, von zuhause in ein Pflegeheim wechseln zu müssen. Erste Anzeichen einer beginnenden Demenz, die man sich und den Seinen nicht zumuten will. Kombination mehrerer Faktoren inklusive Verlust einer geliebten Person. Vergleiche dazu auch die 25 Fallbeispiele auf www.sterbefasten.org.

Praxis

Dauer: Von wenigen Tagen (bei Schwerkranken dann aber eventuell Tod dank der Grunderkrankung) bis mehr als drei Wochen, je nachdem, ab wann und wie konsequent nicht nur die Nahrungs-, sondern auch die Flüssigkeitsaufnahme beendet wird (täglich möglichst nur etwa 50 ml für Medikamenteneinnahme und Mundbefeuchtung). Bei konsequentem Trinkverzicht von Anfang an sind etwa zehn Tage eine häufige Dauer. Todesursache: Nierenversagen führt zum Versagen der Elektrolyt-Regulation; Folge: Herzversagen; Tod immer friedlich im Schlaf.

Ärztliche und pflegerische Betreuung: Gute Mundpflege ist unverzichtbar, weil offenbar nichts anderes gegen Durstprobleme wirklich nützt. Massnahmen gegen Wundliegen zuweilen nötig; Medikamente für guten Schlaf, gegebenenfalls gegen Aufregung. Es können unter anderem, wie auch in anderen Sterbesituationen, Delir-ähnliche Zustände auftreten, die medikamentös zu behandeln sind.

Totenschein: In jedem Falle sollte man eine klare Beschreibung des Sterbeverlaufs samt einer schriftlichen Absichtserklärung des Sterbewilligen, das Leben durch FVNF vorzeitig zu beenden, beifügen. Man kann entweder «nicht-natürlich» ankreuzen, weil die Entscheidung suizidal ist, oder «natürlich», weil der eingeschlagene Weg als natürlich (anders als bei Verwendung einer Schusswaffe oder tödlicher Tabletten) bewertet werden darf. Im Hinblick auf die Vorgaben des Totenscheins kann man FVNF als «natürlichen Suizid» bezeichnen. Diese begriffliche Chimäre soll rechtfertigen, dass (derzeit) einem niemand vorschreiben kann, was auf dem Totenschein anzukreuzen ist.

Gesellschaftliche Aspekte

Vielfältig: Sie reichen von Tabuisierung und Verweigerung der Beihilfe bis zu positiver Bewertung im Sinne eines «natürlichen Sterbens» / «guter Sterbekultur». Häufig Leugnen der suizidalen Komponente auch im Falle des eigentlichen FVNF. Allmähliche Akzeptanz in palliativ-medizinischen Kreisen, jedoch meist begrenzt auf Patienten mit schwerer Erkrankung und infauster Prognose. Schwierigkeiten für Alters- und Pflegeheime, wenn Menschen, die nicht sterbenskrank sind, durch FVNF das Leben beenden wollen; tendenziell wird dort FVNF umso eher als natürlich angesehen, je älter die betreffende Person ist.

Fachliteratur

Chabot, B., Walther, C. «Ausweg am Lebensende» (6. Aufl., Reinhardt, 2021) (mit Praxis-Hinweisen)

Kaufmann, P., Trachsel, M., Walther, C. «Sterbefasten – Fallbeispiele zur Diskussion über den Freiwilligen Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit» (2. erweiterte Auflage, Kohlhammer, 2022) (insgesamt 25 Fälle)

zur Nieden, C. (2017/2023) Sterbefasten (3. Aufl.) (mit Praxis-Hinweisen)

zur Nieden, H. u. zur Nieden C., Umgang mit Sterbefasten (2019) (18 Fälle, zum Teil nur geplantes, beziehungsweise nicht zu Ende geführtes Sterbefasten)

Englische Publikationen sind unter VSED (voluntary / voluntarily stopping eating and drinking) in der medizinischen Datenbank PubMed zu finden.

Webseiten

www.sterbefasten.org Auf unserer Website finden sich neben dem Basiswissen auch FAQ, 25 Fallbeispiele, weitere Literatur

www.sterbefasten.com Vor allem für Beratungen

www.sterbefasten.ch Wissenschaftliche Studien zum FVNF

Stellungnahmen der Ärzteschaft

In Österreich hat die OPG ( Österreichische Gesellschaft für Palliativmedizin) 2018 zum Thema umfassend Stellung genommen: https://www.palliativ.at/die-opg/arbeitsgruppen/ethik-in-palliative-care/fvnf

In Deutschland hat die DGP (Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin) 2019 ein «Positionspapier» veröffentlicht, dessen Aussagen sich ausschließlich auf Menschen mit «unerträglichem anhaltendem Leiden» beziehen: https://www.dgpalliativmedizin.de/stellungnahmen/DGP_Positionspapier

In der Schweiz gelten seit 2022 die teilweise überarbeiteten SAMW-Richtlinien «Umgang mit Sterben und Tod», die erstmals auch Aussagen zum FVNf machen.

https://competence.ch/aerztekammer-verabschiedet-samw-richtlinien-zu-sterben-und-tod

Zeitungsartikel

Erste ausführliche Darstellung 2014 in «DIE ZEIT». Etliche Beiträge sind mit der Google-Suche zu finden mit der Eingabe «Sterbefasten» oder / und «Freiwilliger Verzicht Nahrung Flüssigkeit».

Radio / Fernsehen

In Deutschland bisher nur ganz wenige Radio-Sendungen, zum Beispiel mit Christiane zur Nieden im SWR.

In der Schweiz bislang mehrere Radiosendungen sowie zwei Fernsehsendungen, die bei www.sterbefasten.org in der Rubrik «Link» abrufbar sind.

Oktober 2022 / Februar 2024