Sterbefasten- Informationen zu FVNF 
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Selbstbestimmt zu Ende leben: Sterbefasten

Was ist wichtig bei der Pflege einer Person, die mit Sterbefasten vorzeitig aus dem Leben scheiden möchte? Worauf ist zu achten und was könnte schief gehen? Welche Meinungen gibt es zu diesem Thema? Eine kurze Bestandesaufnahme.


Die ersten vier Jahre nach der Operation eines Hirntumors waren erträglich, die Lebensqualität recht gut: Doch dann erlebte Beat (Name geändert), 66, pensionierter Hauswart, unerwartet einen ersten Epilepsieanfall mit Krämpfen. Der Hirntumor war zurückgekehrt. Bald wurde Beat bettlägerig, eine mehrteilige Chemotherapie half nicht. Die körperlichen Aktivitäten waren bald völlig eingeschränkt, geistig aber war er wach und bei klarem Verstand. So wollte er nicht mehr weiterleben und vor allem keine weiteren Behandlungen mit schweren Nebenwirkungen mehr erdulden.

Keine zusätzlichen Leiden

Beat entschloss sich, nicht mehr zu essen und nicht mehr zu trinken. Der freiwillige und konsequente Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit verursachte keine weiteren Leiden. In den ersten Tagen seines Sterbefastens sprach er noch viel mit seiner Lebensgefährtin, anderen Familienangehörigen und engsten Freunden. Der Hausarzt war bereit, das Sterbefasten zu begleiten und verfügte über das nötige Wissen, um Beat in seinen letzten Lebenstagen zu betreuen. Letzteres ist nicht immer der Fall. Dr. Alois Haller, Chefarzt Zentrum für Intensivmedizin am Kantonsspital Winterthur, hält in der «Schweizer Zeitschrift für Ernährungsmedizin» unter anderem fest: «Nicht alle Ärzte wissen, wie man einen derartigen Sterbeprozess begleitet. Als Intensivmediziner kämpfe ich mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln primär stets um das Überleben der Patienten und führe erst sekundär auf klaren Wunsch des Patienten oder der Angehörigen (bei mutmasslichem Willen des Patienten) eine terminale Dehydration (Sterbefasten) durch. Bevor jemand sich für diesen Weg entscheidet, muss die Beratung mit Familienmitgliedern oder anderen Personen des Vertrauens stattfinden, sowie nach Möglichkeit auch mit einem Arzt. Denn die tagtägliche Pflege durch Angehörige und Pflegepersonal ist in dieser Situation unerlässlich.»

Wichtige Mundpflege

Besonders wichtig ist die Mundpflege. Durch den Verzicht auf Flüssigkeitsaufnahme entsteht ein Durstgefühl, das auf den trockenen Mund zurückzuführen ist. Die Pflegenden müssen daher den Mundbereich der Fastenden regelmässig befeuchten. Damit hält sich das Durstgefühl in erträglichen Grenzen, Entzündungen im Mund- und Rachenbereich können vermieden werden. Während sich das Durstgefühl immer wieder mehr oder weniger stark bemerkbar macht, verschwindet das Hungergefühl relativ rasch. Viele Menschen kennen dies aus einer Heilfastenkur: Der Körper stellt sich auf den sogenannten Hungerstoffwechsel ein, es entstehen oft sogar euphorische Gefühle. «Das Hungergefühl verliert sich üblicherweise nach etwa vier Tagen und weicht einem häufig sehr wach und alert erlebten, meist schmerzfreien Zustand, der einige Tage anhält, um anschliessend einem immer tieferen Schlaf Platz zu machen, falls keine Flüssigkeitsaufnahme mehr stattgefunden hat», weiss Dr. Haller.

Belastung für das Umfeld

Wer nur auf Nahrung verzichtet, aber weiterhin kleine Mengen Flüssigkeiten trinkt, verlängert den Sterbeprozess. Eine längere Zeit des Sterbefastens ist für die Sterbewilligen meist gut ertragbar, bedeutet aber oft eine beträchtliche Herausforderung für die Angehörigen und Pflegenden. Nicht zu vergessen: Die Betreuung und Dauerpflege eines sterbenden Menschen ist immer eine zeitaufwändige Aufgabe und kann gelegentlich zu einer seelischen Belastung für das nächste Umfeld des Sterbenden werden. Wer über das Sterbefasten noch gar nichts weiss, reagiert unter Umständen mit der quälenden Frage: Kann ich meine Partnerin, meinen Lebensgefährten, meinen langjährigen Patienten einfach verdursten und verhungern lassen? Selbst bei jenen, die wissen, dass diese Art zu sterben human und meist gut zu ertragen ist, bleibt die Betroffenheit, dass jemand, den man liebt, jetzt Schluss machen will.

Aus ethischer Sicht lässt sich darauf antworten, dass es in einer aufgeklärten Gesellschaft zum Selbstbestimmungsrecht eines jeden Menschen gehört, die Aufnahme von Flüssigkeit und Nahrung abzulehnen. Um ihr eigenes Gewissen zu beruhigen, stellen Pflegende oft in der ersten Zeit des Sterbefastens ein Glas Wasser in Reichweite der Sterbewilligen und bieten gelegentlich etwas zu essen an. Damit kann auch belegt werden, dass der Wille zu sterben nicht nur wohl überlegt war, sondern tatsächlich auch weiterhin von Dauer ist. Dr. Haller: «Der Wunsch des Patienten auf einen frühen Tod muss wohlerwogen sein und soll nicht einer momentanen Krise entspringen.»

Auch bei Demenzerkrankungen?

Viele Menschen fürchten sich davor, an Alzheimer oder einer andern Form der Demenz zu erkranken und dann nicht mehr handlungsfähig zu sein. Kann das Sterbefasten eine Wahlmöglichkeit auch für demenzkranke Menschen sein? Juristische und ethische Voraussetzung für das Sterbefasten ist in jedem Fall, dass die Sterbewilligen urteilsfähig sind. Wer beispielsweise an Alzheimer erkrankt ist, aber ärztlich attestiert noch als urteilsfähig gilt, kann somit durchaus ein Sterbefasten versuchen. Allerdings muss dies meist zu einem Zeitpunkt geschehen, an dem noch relativ viel Lebensqualität vorhanden ist.

Der deutsche Neurobiologe (im Ruhestand) Christian Walther, befasst sich seit einiger Zeit mit der Situation von demenzkranken Menschen. Der Co-Autor des 2016 in 5. Auflage erschienen Buches «Ausweg am Lebensende. Sterbefasten – selbstbestimmtes Sterben durch Verzicht auf Essen und Trinken» (Reinhardt Verlag) hält fest: «Das Sterbefasten kann bei Demenzkranken manchmal gelingen, wenn jemand sich bereits länger mit der Möglichkeit eines präventiven Suizids beschäftigt hat. Wenn nun erste Anzeichen bestehen und eine Diagnose über eine beginnende dementielle Erkrankung vorliegt, muss man sich entschliessen und rasch handeln.» Es bestehe aber eine grosse Wahrscheinlichkeit, schreibt Walther, «dass man seine Entscheidung zum Sterbefasten nicht mehr durchhält, weshalb ein Suizid mit Medikamenten in dieser Situation prinzipiell sicherer ist. Bei fortgeschrittener Demenz ist Sterbefasten nicht möglich. Lehnt ein Patient dann immer wieder Essen und Trinken ab, so muss geklärt werden, woran das liegt. Erst dann kann entschieden werden, ob man den Patienten nun sterben lässt, indem man ihm nur noch so viel zu essen und zu trinken gibt, wie ihm behagt.»

USA: Positive, aber auch kritische Stimmen

Das Sterbefasten wird gegenwärtig in den USA stark propagiert. «In Amerika gibt es zwei verschiedene Associations (Compassion and Choices sowie Caring advocates), die im Internet über das Sterbefasten aufklären, es durchaus empfehlen, aber auch unverblümt um Spenden und Sponsoren für die Unterstützung ihrer Arbeit werben», erläutert Walther. Diese eher aggressive Art des Umgangs mit einem schwierigen Thema hat Gegenreaktionen hervorgerufen. Es wurden verschiedene Fallbeispiele mit negativen Erfahrungen ins Internet gestellt. Was ist davon zu halten? Christian Walther: «Es ist nachträglich meist nicht mehrmöglich, noch abzuklären, ob sich die Pflegenden in den hie und da beschriebenen Negativbeispielen an die Regeln gehalten haben – vor allem auch, ob eine sorgfältige Mund- und Schleimhautpflege vorgenommen wurde und die Ärzte gegebenenfalls ihre palliativen Möglichkeiten ausgeschöpft haben.»

Gangbarer Weg

Mit Sterbefasten aus dem Leben scheiden bedingt eine sorgfältige Planung, einen regelmässigen, informativen Austausch zwischen dem begleitenden Arzt und den Pflegenden. Zumindest in der ersten Woche kann das Sterbefasten abgebrochen werden, ohne dass schwer wiegende und bleibende Folgen zu befürchten sind. Bei einem späteren Abbruch muss jedoch mit körperlichen Schäden gerechnet werden. Der / die Sterbewillige braucht eine erhebliche mentale Stärke, um seinen Entschluss zu sterben, umsetzen zu können. Dr. Alois Haller betont denn auch: «Ein Verzicht auf Essen und Trinken ist ein langsamer und beschwerlicher, aber gangbarer Weg in Richtung eines baldigen Todes.» Der krebskranke Patient Beat starb nach zwei Wochen, er schlief friedlich ein.

PETER KAUFMANN

Artikel aus EXIT INFO 3/15, leicht geändert.