Sterbefasten- Informationen zu FVNF 
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Wie man in Würde sterben kann

Was empfindet eine Tochter, wenn ihr Vater mit Sterbefasten sein Leben abschliessen will? Die Hamburger Verlagskauffrau und Germanistin Frauke Luckwaldt beschreibt ihre widersprüchlichen Empfindungen und Erfahrungen in einem soeben erschienenen Buch*.

Zwar ist Claus Rethmann nicht tödlich erkrankt, aber der plötzliche Tod seiner Ehefrau nach über 60 gemeinsamen Jahren lässt ihn das Leben mehr und mehr sinnlos erscheinen. Claus ist seit einem Schlaganfall auf stete Pflege angewiesen, er vermisst die Fürsorge seiner Frau Helga. Die Angebote in der Pflegestation – von Yogaübungen bis zum Chorgesang – interessieren ihn nicht: Seine kritischen Gedanken zur täglichen Routine im Heim und zu seiner Situation hält er in einem Computer-Dokument fest. Und dann überrascht er Tochter Frauke und Sohn Michael mit dem Entschluss, in Würde selbstbestimmt sterben zu wollen. Er möchte sterbefasten.

Lange Leidenszeit

Tochter Frauke, der Arzt und das Stationspersonal sind bereit, die Pflege zu übernehmen. Michael, der für seinen Vater seit Längerem das Finanzielle in Ordnung hält, ist eher skeptisch. Um den Sterbewunsch zu überprüfen, werden Claus immer wieder einige Leckerbissen sowie Tee und Wasser angeboten. Hunger hat Claus bald nicht mehr, er verzichtet völlig auf die angebotenen Häppchen. Wegen seiner starken Durstgefühle und auf wiederholte Bitten einer Pfarrerin, die seinen Entschluss nur sehr schwer mittragen kann, trinkt er hingegen hie und da. Etwas zu viel: Sein Sterbefasten dauert und dauert, erst am 40. Tag erlöst ihn der Tod.

Aus persönlicher Sicht

Frauke Luckwaldt beschreibt die Sterbenszeit ihres Vaters aus ihrer persönlichen Sicht. Sie sieht, wie sich die Menschen um Claus «auf einem schmalen Grat zwischen Verständnis und Ablehnung» bewegen. Die lange Dauer der Sterbenszeit ist für alle eine Belastung. Ihre oftmals sich verändernden, gelegentlich widersprüchlichen Wahrnehmungen und Überlegungen ergänzt Frauke mit zusätzlichen Texten, die ihr Vater für sie geschrieben hat, sowie mit Auszügen aus den Tagebüchern, in denen Helga und Claus in den 1950er-Jahren ihre Liebesgeschichte festgehalten haben.

Auf den Tod warten

Dieser Hintergrund macht die grosse seelische Kraft des alten, lebensmüden Mannes begreifbar, der allen Schwierigkeiten zum Trotz andauernd und hartnäckig festhält an seinem Entschluss, vorzeitig aus einem für ihn inhaltslos gewordenen Leben auszuscheiden. Seine Überzeugung formuliert er im Hinblick auf seine Erfahrungen im Heim so: «Hier gibt es genug Menschen, die auf den Tod warten – später. Ich erwarte ihn nicht, ich gehe auf ihn zu – jetzt.»

Vertiefendes Vorwort

Dies sei «ein mutiger, ein bewundernswerter Schritt» hält der Berliner Notfallmediziner und bekannte Buchautor Michael de Ridder im Vorwort «Sterbefasten – ein friedliches Ende» fest. de Ridder vermittelt in Kurzform einige wichtige Informationen zum Sterbefasten. Er stellt unter anderem «Regeln für eine verantwortliche vorzeitige Herbeiführung des Todes durch Sterbefasten» auf und führt damit sorgsam Laien an die gegenwärtig in Palliativkreisen intensiv diskutierte Thematik heran. Als Arzt weist aber auch auf juristische Probleme hin, da in Deutschland die derzeitige Rechtslage nicht nur in Bezug auf den begleiteten Suizid, sondern auch auf das Sterbefasten komplizierte Rechtsfragen aufwirft. Die Situation in der Schweiz ist jedoch völlig anders: Hier gehen Behörden, Ärzte und Palliativinstitutionen juristische Fragen eher pragmatisch denn ideologisch an.

PETER KAUFMANN

Diese Besprechung erschien erstmals im Mai 2018 im EXIT-Info 2/18.



Dr. Christian Walther, Neurobiologe i.R., schrieb zu diesem Buch in der deutschen Publikation «Die Schwester Der Pfleger» 5/18 folgenden Hinweis:

Anklage und Warnung

2013 nahm sich Claus Rethmann mit 87 Jahren das Leben. Fünf Jahre später erfüllt sich nun sein Wunsch, dass darüber ein anklagender Bericht veröffentlicht wird: Warum darf man hierzulande nicht professionell unterstützt werden, wenn man wohlüberlegt sein Leben vorzeitig – durch einen Suizid beenden will?

Durch einen Schlaganfall mit weitgehender rechtsseitiger Lähmung war Rethmann zum Pflegefall geworden. Obwohl sich seine Situation absehbar verschlechterte, hätte er, ein sehr energischer Mann mit klarem Kopf, noch lange weiterleben können. Doch als dann seine Frau nach 60 Jahren einer sehr glücklicher Ehe unerwartet vor ihm an einem Krebsleiden verstarb, zog ihm das den Boden unter den Füssen weg. Wir erleben mit, wie Rethmann seinen Kindern und der Heimleitung eines Tages seinen Entschluss verkündet, sein Leben zu beenden. In seinem Sterbewunsch ist er gefestigt. Allerdings versteht er den Tod eher als eine Durchgangsphase, an deren Ende er wieder mit seiner geliebten Frau vereint sein würde. Die Ehe mit ihr war über grosse Hindernisse zustande gekommen und zu einer sehr innigen Beziehung geworden, was die Autorin des Buches (seine Tochter Frauke Luckwaldt) durch Einschübe mit Briefen und Tagebuchaufzeichnungen belegt.

Da ihm keine Medikamente zum Sterben zugänglich sind, versucht er es mit dem Verzicht auf Essen und Trinken – oft als Sterbefasten bezeichnet. Er war selber auf diese Möglichkeit gekommen, hatte sich darüber aber nicht weiter informiert.

Das sollte sich als verhängnisvoll erweisen. Erfreulicherweise kommt es aber niemandem – ausser einer Pfarrerin – in den Sinn, Rethmann zu bevormunden. Das Pflegeheim macht keine Schwierigkeiten, und der Beistand der Kinder ist ihm gewiss.

Dann entwickelt sich eine Katastrophe: Weder ist Rethmann hinreichend klar, dass er – statt oft weit mehr als 100 ml pro Tag – nur etwa 50 ml trinken darf, wenn er wirklich bald sterben will; noch helfen ihm die Pflegenden, diesen schweren Entschluss konsequent umzusetzen. Zudem flüchtet er sich dreimal in vergebliche Anläufe, das Leben (doch) auf andere Weise zu beenden.

Erst nach 40 Tagen ist er erlöst. Sein Weg aus dem Leben hat somit etwa doppelt so lange gedauert wie sonst häufig bei anderen, die durch Sterbefasten versterben. Der Autorin ist es gelungen, diese komplexe, aufregende Geschichte lebhaft und mit tiefen Einblicken in ihre Zweifel, Verzweiflung, Ärger und doch immer wieder siegende Entschlusskraft zu erzählen.

Siehe auch Fallbeispiel 22

Buch:
*Frauke Luckwaldt: «Ich will selbstbestimmt sterben! Die mutige Entscheidung meines Vaters zum Sterbefasten», 2018, Ernst Reinhardt Verlag, München